Mittwoch, 28. September 2016

Warum der berühmte «Waldorf Salad» auch schweizerisch ist: Oscar Tschirky zum 150. Geburtstag

Oscar Tschirky, ca. 1885

Es war eine Party ganz im Sinne von «Oscar of the Waldorf», schliesslich hatte er alles dafür organisiert. Ein Ballsaal des Hotels «Waldorf-Astoria» wurde für einen Abend in einen zwölfseitigen, rebenumrankten Gartenpavillion im altrömischen Stil umgebaut, mit Nachtigallen, Amseln und Kanarienvögeln aus dem Central Park Zoo und eigens angelegten Springbrunnen. Die Speisen reichte man dem Gastgeber Randolph Guggenheim und seinen Freunden auf goldenen Tellern: Suppe von der Diamantschildkröte, Berglamm und New Yorker Ruderente.  «Das teuerste Dinner in New York», schrieb anderntags die New York Tribune, zu 250 Dollar pro Kopf – im Jahr 1899. Oscar war der Oberkellner des Hotels in New York, und spätestens nach diesem Abend eine Berühmtheit in Amerika.


Mit vollem Namen hiess er Oscar Tschirky und wurde am 28. September 1866 in Le Locle bei Neuenburg geboren. In seiner Heimat weitgehend unbekannt, steht «Oscar of the Waldorf» in den USA für den Gastgeber des 20. Jahrhunderts schlechthin, und für eine Tellerwäscherkarriere wie aus dem Bilderbuch. Aufgewachsen in La Chaux de Fonds, wo sein Vater als Agent der Compagnie Transatlantique tätig war, folgte er seinem älteren Bruder Brutus ins Land der unbeschränkten Möglichkeiten. Er kam am 23. Mai 1883 in Manhattan an, einen Tag vor der Eröffnung der Brooklyn Bridge, und innerhalb von drei Stunden seit der Ankunft beantragte er die amerikanische Staatsbürgerschaft. Sein Bruder schickte ihn direkt ins Hoffman House, das damals beste Hotel der Stadt. «Ich war gerade sieben Stunden und drei Minuten in New York – und hatte meinen ersten Job», gibt er in seinen Memoiren zu Papier: Tellerabräumer im Speisesaal. «Vom ersten Tag meiner Ankunft an habe ich nicht einen Tag in Amerika verbracht, an dem ich nicht von einem Hotel angestellt war.» Der Besitzer erkannte das Talent des Siebzehnjährigen, und beförderte ihn rasch zum Steward seiner Privatyacht. Sonntags spielte der New Yorker Geldadel dort Poker. Oscar war für das leibliche Wohl der Spieler besorgt, und seine Entlöhnung folgte einer strikten Regel: Die Hälfte des letzten Jackpots einer Nacht gehörte Oscar – und alles, was auf dem Tisch liegen gelassen wurde.


Sein Arbeitsweg führte Oscar am Delmonico’s Restaurant beim Madison Square Park vorbei, wo sich Fifth Avenue und Broadway kreuzen. Das Delmonico’s bot die beste Küche und den besten Service in der Stadt und berühmte sich auch einer besonderen Innovation: Es war das erste Haus in Amerika überhaupt, das den Gästen ein gedrucktes Menu präsentierte, aus dem sie die Speisen und Weine auswählen konnten. Gegründet wurde das Delmonico’s 1827 von den Brüdern Giovanni und Pietro Antonio Delmonico, zwei Auswanderer aus dem kleinen Ort Mairengo bei Faido im Tessin. Die Familie Delmonico baute sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Imperium mit zweitweise zehn Lokalen in New York auf und war Anziehungspunkt für die Schönen und Reichen der Stadt. Es soll der betörende Anblick der Broadway-Sängerin Lilian Russell gewesen sein, Stammgast im Delmonico’s, der den jungen Oscar dazu bewog, vom Hoffman House dorthin zu wechseln. Seine Landsleute stellten ihn ein, als Kellner zuerst im Café und dann im noblen Restaurant.

Delmonico's Restaurant beim Madison Square (NYPL)
 

Die Chefköche des Delmonico’s, darunter Alessandro Filippini aus Airolo und der Franzose Charles Rahnhofer, Autor des Standardwerks «The Epicurean» (1894), kreierten und perfektionierten zahlreiche Gerichte, die Klassiker der amerikanischen Küche wurden. Darunter finden sich etwa der Hummer «à la Newberg», die berühmten Eggs Benedict (pochiertes Ei auf Toast mit gebratenem Schinken und Sauce Hollandaise), der Dessertklassiker Baked Alaska (im Meringuemantel gebackenes Bananeneis) – und natürlich der «Waldorf Salad» aus Knollensellerie, Äpfeln, Mayonnaise und (später) Walnüssen. Dank John Cleese und seiner Sitcom «Fawlty Towers» (1979) hat der Waldorf Salad sogar Einzug in die Populärkultur gehalten.



Alessandro Filippini - The Delmonico Cook Book (189?)

Oscar hörte von den Plänen von William Waldorf Astor, dem Immobilienmagnaten und Erben eines singulären Vermögens, in Manhattan ein Luxushotel von bisher unerreichter Grösse zu errichten. Sein Unternehmergeist war geweckt, und er beschloss, sich für eine Stelle in einem Hotel zu bewerben, das noch nicht gar nicht gebaut war. Innert weniger Tage hatte er acht Seiten mit Empfehlungen seiner einflussreichen Gäste im Delmonico’s beisammen und wurde der erste Angestellte des Hauses: Oberkellner und «Maître d’hôtel» im zukünftigen Waldorf Hotel, das nach einer Erweiterung zum «Waldorf-Astoria» wurde. Das «Waldorf» stand von Anfang an für modernen Luxus auf allen Ebenen: 450 Zimmer, 350 Badezimmer, zahlreiche grosse Säle, und ein Bach mit lebenden Forellen, aus dem der Gast sein Mahl selbst fischen konnte. Das Hotel sollte mehr sein, als die Hotels in Manhattan bis anhin waren, und nicht nur eine Übernachtungsmöglichkeit bieten. Es sollte Ort für rauschende Feste und Bälle werden, und Essen servieren, wie es in keinem der besten Restaurants in der Stadt zu bekommen war – und so die vermögendsten und einflussreichsten Gäste in Scharen anziehen.

 
Das ursprüngliche "Waldorf-Astoria" - heute steht an seiner Stelle das Empire State Building

Oscar Tschirky gelang dies mit seinem Organisationstalent innert kurzer Zeit. Er verstand es auch, sich selbst zu einer Marke zu machen. Für jedermann war er einfach «Oscar», weil er meinte, seinen Nachnamen könne sowieso niemand richtig aussprechen. 1896 veröffentlichte er sein «Cookbook by ‘Oscar’ of the Waldorf», eine knapp tausendseitige Sammlung von Rezepten – obwohl er selbst nach eigenen Angaben eigentlich gar nicht kochen konnte. Und eine von ihm kreierte Sauce wurde landesweit als «Oscar’s Sauce» mit seinem Konterfei auf der Flasche verkauft.





 

Oscar blieb dem «Waldorf-Astoria» fünfzig Jahre treu, bis er sich 1943 im Alter von 77 Jahren in sein für ihn erbautes Schweizer Chalet in New Paltz im Hudson Valley zurückzog. Oscar Tschirky starb 1950. Sechzehn Jahre danach benannte das Waldorf-Astoria eines der Restaurants im Hotel zu seinen Ehren in «Oscar’s at the Waldorf» um. Das Restaurant gibt es heute nicht mehr. Letztes Jahr musste es einem chinesischen Gourmetrestaurant weichen, nachdem das Waldorf-Astoria an Investoren aus China (darunter der Schwiegergrosssohn von Deng Xioaping) verkauft worden war. Die neuen Eigentümer planen überdies, das Hotel in Eigentumswohnungen umzugestalten.


"Oscar of the Waldorf" und sein Schweizer Chalet im Modell
 

Die Geschichte gastronomischer Innovationen aus Schweizer Hand geht in New York indessen weiter. Ein neues Kapitel schreibt derzeit der gebürtige Aargauer Daniel Humm. Er erkochte sich drei Michelin-Sterne und belegt den aktuell dritten Platz auf der (nicht ganz kontroversefreien) San Pellegrino-Liste der weltbesten Restaurants. Sein Restaurant Eleven Madison Park führt demnach die Spitze der Lokale in den USA an. Gelegen ist es nur wenige Schritte vom damaligen Delmonico’s Restaurant an der Fifth Avenue entfernt, in dem Oscar Tschirky gewirkt hatte. Eine der berühmten Kreationen von Humm ist eine Neuinterpretation des «Waldorf Salad», der am Tisch frisch zu bereitet wird. Gezeigt wird dem Gast dabei auch das Originalrezept – in Oscar’s «Cookbook» von 1896. Der junge Schweizer Spitzenkoch schliesst so den Kreis zu seinem Landsmann auch in kulinarischer Hinsicht.

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Hauptquellen:

 

Karl Schriftgiesser, Oscar of the Waldorf, New York 1943

Lately Thomas, Delmonico’s – A Century of Splendor, Boston 1967

Archiv der New York Times

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